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Der neue Brand Guide: Wenige Regeln – Freiheit im System

Corporate Design war lange gleichbedeutend mit dicken Handbüchern: 120 Seiten voller Raster, Farbwerte, Logo-Varianten und „Do’s & Don’ts“. Die Realität: kaum jemand las diese PDFs, noch weniger hielten sich konsequent daran. Und Sie waren starr und unflexibel.

Heute brauchen Marken einen völlig anderen Ansatz. Denn die Zahl der Kanäle ist explodiert, Teams sind dezentral organisiert, Content entsteht oft in Sekunden – und das meist nicht mehr von der Agentur, sondern im Social-Media-Team, beim Vertrieb oder durch KI-Tools.

Statt starrer Manuals: ein unverwechselbarer Code, den jeder versteht – maximale Gestaltungsfreiheit drumherum.

Von der CI-Bibel zum „Brand Code“

Ein moderner Brand Guide ist kein Regelwerk, sondern ein System, das Wiedererkennung sichert und Kreativität beflügelt. Er funktioniert wie ein Song, dessen Refrain immer gleich bleibt, während die Strophen frei interpretiert werden dürfen.

Die neuen Prinzipien:

  • Radikale Reduktion: Maximal fünf wirklich unverwechselbare Bausteine (z. B. Logo, Hauptfarbe, eine Typokombination, ein Motion-Schema, ein Sound).
  • Konsistenz im Kern, Freiheit im Rest: Alles, was den Code stärkt, ist erlaubt. Alles, was ihn verwässert, ist verboten.
  • „Playable Rules“ statt Verbote: Der Code motiviert, er inspiriert – er sperrt nicht ein.

Die Bausteine des Brand Codes

Logo – das stabile Signal

  • Eine Hauptversion, plus eine einzige Variante für Sonderformate.
  • Klare Mindestgröße, Schutzzone, Kontrastregeln (auch für Dark Mode).
  • Fixierte Platzierung für digitale Standards (z. B. immer links oben, Avatar rund mit Primärfarbe).
    Mehr nicht – keine seitenlangen Beispiele, wie das Logo auf einem Firmenwagen wirken darf.

Farben – reduziert und testbar

  • Eine Primärfarbe mit starker Wiedererkennung, dazu maximal drei Sekundärfarben.
  • Eindeutige Hex-/RGB-/CMYK-Werte.
  • Accessibility-Check integriert (Kontrast, Barrierefreiheit).
  • Optional: saisonale oder Kampagnenmodule – aber immer klar als Erweiterung zum Kern markiert.

Typografie – Klarheit statt Sammlungen

  • Eine Headline-Schrift, eine Textschrift (idealerweise variable Fonts mit flexiblem Einsatz).
  • Fallbacks für digitale Anwendungen.
  • Kurze Regeln für Zeilenabstände und Schriftschnitte.

Motion & Sonic Branding – der Wiedererkennungsfaktor der Zukunft

  • Ein festgelegtes Bewegungsmuster (z. B. Einblendungskurve, Dauer, Geschwindigkeit).
  • Ein Sonic Logo von 2–3 Sekunden Länge, mit erlaubten Variationen für Plattformen (Pre-Roll, Notification, In-App).
  • Klarer Hinweis: Alle Videos oder Animationen sollen in den ersten 3 Sekunden markant „markiert“ werden.

Bildsprache & Icons – Leitplanken, keine Zäune

  • 3–4 Beispielbilder und eine kurze Erklärung: „So sieht unsere Marke aus“.
  • Bildstile (z. B. „realistisch, hell, natürliche Farben“ oder „illustrativ, reduziert, flächig“).
  • Icon-Stil (Outline vs. Filled) und möglichst ein Open-Source-Set als Basis.

Tone of Voice – einprägsam wie visuelle Codes

  • 3 Stichworte, die die Sprache prägen (z. B. „direkt, optimistisch, nahbar“).
  • 2–3 Beispieltexte (Website, Social Media, Kundenservice).
  • Ergänzung für KI-Dialoge: Prompt-Guidelines, die die Tonalität sichern.

Der Brand Hub als lebendiges Arbeitswerkzeug

Ein moderner Brand Guide lebt nicht als PDF, sondern als digitaler Brand Hub:

  • Downloadbare Assets (Logos, Templates, Audio, Motion Presets).
  • Design Tokens (Farben, Typo, Abstände) für Entwickler.
  • Templates für Social Posts, Präsentationen, Ads, Videos.
  • Kurze Micro-Learnings oder Clips, die Regeln erklären.

So wird der Guide nicht archiviert, sondern genutzt – von Designer:innen ebenso wie von Praktikant:innen, Vertriebsteams oder externen Partnern.

Weniger Regeln, mehr Verantwortung

Die neue Rolle eines Corporate Design Guides besteht darin, Verantwortung abzugeben: Nicht alles ist durchdekliniert, vieles bleibt bewusst offen. Teams bekommen Leitplanken, aber auch das Vertrauen, kreativ zu sein. Entscheidend ist nur, dass die wenigen Kerncodes unangetastet bleiben.

Das bedeutet: Markenidentität wird nicht mehr durch hundert Seiten Regeln geschützt, sondern durch eine kollektive Klarheit. Alle wissen, worauf es wirklich ankommt – und dürfen ansonsten experimentieren.

Fazit

Ein Brand Guide im Jahr 2025 ist nicht länger eine CI-Bibel, sondern ein kompaktes, agiles System, das Wiedererkennbarkeit und Freiheit verbindet. Statt starrer Raster und Listen voller Verbote definiert er wenige unverwechselbare Codes und setzt darauf, dass diese konsistent angewendet werden. Alles andere ist Spielfeld für Kreativität, Geschwindigkeit und Plattformdynamik.

Die alte Formel „Je mehr Regeln, desto sicherer die Marke“ gilt nicht mehr. Heute heißt es: Je weniger Regeln, desto stärker die Identität – wenn die wenigen Regeln die richtigen sind.